Der Nachlass Wilfried Täubner (1940-94)

Mein Vater, der Künstler-Fotograf Wilfried Täubner, der am 1. April 1994 nur 53-jährig seinem Krebsleiden erlegen ist, hat ein großes und bedeutendes künstlerisches Werk hinterlassen. Neben den Kubus-Arbeiten, die von 1971 bis zu seinem Tod 1994 entstanden sind und als das künstlerische Hauptwerk angesehen werden können, existieren zahlreiche weitere Serien von hoher künstlerischer Qualität und kulturhistorischer Bedeutung. In seinem Nachruf auf meinen Vater Wilfried Täubner kommt Charles Compère noch einmal auf das Hauptwerk zu sprechen:

„[…] Sein systematisches Erarbeiten fotografischer Themen wird besonders deutlich am Beispiel der Fotoarbeiten mit dem Kubus. Zirka 900 Bilder sind in 20 Jahren entstanden – Einzelbilder und Sequenzen: bis zu 25-teilige Fotoarbeiten. Täubner zu seiner Arbeit: ‚Der Kubus ist Teilraum, er ist Symbol des begrenzten Raumes im allumfassenden Raum, als künstlicher Raum in der Unendlichkeit der Natur. Zudem definiert er einen Maßstab in Relation zum Ganzen.‘ Unter gleichem Titel erschien 1993 das hervorragend gedruckte Buch, das mit dem Kodak-Fotobuch-Preis 1993 ausgezeichnet wurde […]. Wilfried Täubner war Mitglied der Deutschen Fotografischen Akademie seit 1981, Mitglied des BFF und der DGPh. Das Interesse für Fotografen-Kollegen, die ähnlich wie er die Kamera zur Dokumentation von Zuständen, Entwicklungen, von Geschichte und Experimenten nutzten, machte ihn folgerichtig zum Galeristen. 1978 gründete er die Galerie T, einen Begegnungsort der besonderen Art, mitten im Bergischen Land [bei Köln] gelegen. Dort konzipierte und realisierte er zahlreiche Fotoausstellungen – eigene Werkpräsentationen  und Ausstellungen für Kollegen.“ (Bulletin – Deutsche Fotografische Akademie 11/95)

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Wilfried Täubner, Kubus 172, 1979, 100 x 100 cm. © Nachlass Wilfried Täubner

Auch aus diesem Nachruf  geht hervor, dass das fotografisch-künstlerische Oeuvre des Wilfried Täubner durchaus eine nicht geringe kunsthistorische Bedeutung für sich beanspruchen darf. Es wäre also nicht nur aus Sicht der Erben wünschenswert, dass das umfangreiche Gesamtwerk Wilfried Täubners zukünftig einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. In diesem Zusammenhang sollte Erwähnung finden, dass Wilfried Täubners Werke 1992 – also noch zu Lebzeiten – durch eine Doppelausstellung im Augustinermuseum Freiburg und den E-Werk-Hallen Freiburg bereits eine museale Würdigung erfahren konnten. Agfa-Gevaert erklärte sich damals sogar bereit, die Vergrößerungen aller ausgestellten Werke durch die Bereitstellung von Baryt-Papier-Rollenware in Übergröße zu sponsern. Posthum kam es 1994 zu einer großen Einzelausstellung „Fotografische Bilder mit dem Kubus“ im Museum Gelsenkirchen. Und auch Helmut Gernsheim nahm 1985 die von Wilfried Täubner in seiner Galerie T organisierte Barbara Klemm-Ausstellung zum Anlass, um zwei Arbeiten von Wilfried Täubner (KUBUS 172 u. KUBUS 724) in seine renommierte Sammlung für zeitgenössische Fotografie aufzunehmen („Zeitgenössische Fotografie aus der Gernsheim-Sammlung“, Roemer- und Pelizaeus-Museum, Hildesheim 1995).

Obwohl Wilfried Täubner die Tagungen der Gesellschaft Deutscher Lichtbildner (heute: Deutsche Fotografische Akademie) von 1981 bis zu seinem Tode 1994 in starkem Maß geprägt hat und er von berühmten Künstlerkollegen wie Karl-Hugo Schmölz, Kurt Julius und Willi Moegle zeitweise sogar als Vorstandsvorsitzender dieser nationalen Vereinigung vorgeschlagen worden war, sind das Werk und der Name des Künstlers von der deutschen Kunst- und Museenlandschaft seit mehr als zwanzig Jahren konsequent ausgeblendet worden. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass die Kunstkommission des Deutschen Bundestages 1987 das Werk KUBUS 172 (1979) in ihren Bestand aufgenommen hatte.

Die Erbengemeinschaft Täubner, bestehend aus der Witwe Karin Täubner (selbst ausgebildete Fotografin), dem älteren Sohn Thomas Täubner (promovierter Sinologe und Hauptnachlassverwalter) und dem jüngeren Sohn Mischa Täubner (Journalist in Hamburg), sieht  sich also seit mehr als zwei Jahrzehnten vor der sehr schwierigen Aufgabe, den wertvollen Nachlass des Wilfried Täubner privat zu lagern, zu pflegen und – wann immer möglich – mit privaten Mitteln einem interessierten Publikum zu präsentieren.

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Wilfried Täubner, Kubus 308, 1980, 50 x 50 cm. © Nachlass Wilfried Täubner

Zwar sind der Erbengemeinschaft immer wieder verblüffende Einzelerfolge gelungen: 1995 präsentierte Karin Täubner die letzte Werkserie „Das latente Quadrat“ (59 Fotoblätter/Photogrammkunst auf Barytpapier) in der hauseigenen Galerie T.
2014 gelang es mir durch die Sonderausstellung „1.4.14 – Raum und Zeit – Eine reine Anschauung“ in der Galerie T das Lebenswerk meines Vaters neu in Erinnerung zu rufen, was dazu führte, dass sich das Nanjing Golden Eagle Contemporary Art Center 2015 dazu entschied, meinem Vater in der alten Kaiserstadt und heutigen Hauptstadt der Provinz Jiangsu eine große Einzelausstellung zu widmen. Der chinesische Veranstalter, die einflussreiche Nankinger Investorengruppe Jin-Ying (Golden Eagle), ließ es sich dabei nicht nehmen, den Druck des 80-seitigen Ausstellungskatalogs „Wilfried Täubner – Die Entmumifizierung des Zauberwürfels 威尔弗雷德。陶伯纳 – 重现的魔方“ zu realisieren.

Und schließlich gelang es mir, nicht zuletzt auch durch die Hilfe von Ingeborg Flagge, der langjährigen Geschäftsführerin des Bundes Deutscher Architekten (BDA) und  ehemaligen Direktorin des Deutschen Architektur-Museums Frankfurt,  für den längst fälligen Eintrag in die „Wikipedia-Liste der bedeutenden Fotografen“ der Welt zu sorgen. Frau Flagge kannte meinen Vater und sein Werk persönlich sehr gut, denn Wilfried Täubner hatte sich auch als Architekturfotograf längst einen Namen gemacht.

Es dürfte jedoch niemanden, der sich mit dem sensiblen Medium Fotografie etwas genauer auskennt, verwundern, dass die sachgerechte Lagerung, Pflege und Präsentation eines solch umfangreichen Gesamtwerkes auf Dauer die physischen und finanziellen Kräfte der Erbengemeinschaft Täubner übersteigen wird. Es sollte deshalb das erklärte Ziel, nicht nur der Erben, sondern auch einer verantwortungsbewussten nationalen Kulturpolitik, sein, dem kunsthistorisch bedeutenden Oeuvre des Kunstfotografen Wilfried Täubner möglichst bald die Aufnahme in ein deutsches Museumsarchiv (am besten mit Schwerpunkt Fotografie) oder in eine mit Bildungsauftrag ausgestattete Kunst-Stiftung zu ermöglichen. Schließlich geht es hier um ein bedeutendes kulturelles Erbe, welches zudem eine außergewöhnliche künstlerische Position beinhaltet. Dem Künstler Wilfried Täubner gebührt neue Aufmerksamkeit!

Thomas Täubner

Weitere Information zum Werk von Wilfried Täubner und dem Engagement der Erbengemeinschaft unter:
www.chinaforum-t-galerie.com

Der Beitrag erschien erstmals in PHOTONEWS 3/2016.