Nachlass Elisabeth Hase

Verloren für die deutsche – gewonnen für die internationale Fotografiegeschichtsschreibung? Der Nachlass von Elisabeth Hase befindet sich nun in New York

Welche Kriterien und Bedingungen würde man für die Abgabe eines bedeutenden fotografischen Nachlasses aufstellen, wenn man einen solchen zu verwalten bzw. abzugeben hätte? Sichtbar und öffentlich zugänglich machen, Gewährleistung der Bearbeitung, die Realisierung einer Ausstellung mit begleitender Publikation und auch gerne noch die Platzierung von ausgewählten Sujets in möglichst öffentlich renommierten Institutionen, um die Bedeutung des Werkes zu  kontextualisieren? Genau das sind die Kriterien und Bedingungen, die Nani Simonis für sich festgelegt hat und nach deren Vorgabe sie den Nachlass ihrer Mutter, der Fotografin Elisabeth Hase, zu Beginn dieses Jahres an den New Yorker Galeristen Robert Mann abgegeben hat – nach einem fast 20 Jahre währenden Prozess des Sichtens, Aufarbeitens, Suchens. Der Galerist hat sämtliche Glas- und Film-Negative, Prints sowie Dokumente des Nachlasses übernommen.

Unter dem Titel „An Independent Vision“ wurde vom 31. März bis 7. Mai dieses Jahres erstmals eine Auswahl an Arbeiten von Elisabeth Hase in der Galerie von Robert Mann gezeigt.Selbst Künstlerin und überwiegend im Ausland ansässig mit einem kleinen Atelier in New York, wurde Nani Simonis nach dem Tod ihres Vaters 1997 auch mit den fotografischen Hinterlassenschaften der Mutter (die bereits 1991 verstorben war) konfrontiert. Der, wie sie sagt, entscheidende Moment dabei war die Sichtung der fotografischen Selbstinszenierungen und der signierten Abzüge „der Hase“. Schnell wurde ihr klar, dass sie sich um diesen Schatz kümmern muss, auch wenn sie zum damaligen Zeitpunkt nicht wusste, wie sie dieses Vorhaben fassen und bewältigen sollte. Unter weitgehender Vernachlässigung der eigenen künstlerischen Arbeit begann für die Tochter eine lange Zeit der Recherche, des Suchens und Erkennens, eine Zeit mit kleinen Erfolgen, aber auch mit Rückschlägen, mit nachhaltigen und wichtigen Begegnungen, eine Zeit voller Erkenntnisse – vor allem im Nachhinein betrachtet.

ohne Titel, ca. 1947-48. © The Estate of Elisabeth Hase, courtesy Robert Mann Gallery

So lernte sie bereits damals – also vor fast 20 Jahren – den Galeristen Robert Mann kennen, dem sie in einem Schuhkarton einige Abzüge der Hase präsentierte und der schon seinerzeit sagte „Wow – das würde ich vertreten“. Mann wurde wichtiger Ratgeber und Bezugsperson für Simonis. Über die bedeutende Fotohistorikerin Naomi Rosenblum kam es zum Kontakt zu Ute Eskildsen im Museum Folkwang Essen, wo in 2003 die erste Kabinett-Ausstellung mit begleitendem Katalog von Elisabeth Hase präsentiert wurde. Auch in wichtigen Gruppenausstellungen wie  „Frauenobjektiv. Fotografinnen 1940-1950“ 2001 im Haus der Geschichte in Bonn, „nützlich, süß und museal / das fotografierte Tier“ 2005 im Museum Folkwang Essen und  „Augen Auf! 100 Jahre Leica Fotografie“ 2014 in den Deichtorhallen Hamburg waren Werke der Fotografin zu sehen. Nicht zuletzt wurde in 2003 eine Dissertation über einen Teil ihres Schaffens verfasst. Timm Starl hatte die Fotografin bereits zu ihren Lebzeiten 1981 in der damals von ihm herausgegebenen Zeitschrift Fotogeschichte mit einem Porträt gewürdigt. Trotz dieser teils beachtlichen Erfolge sah Nani Simonis letztlich keine Möglichkeit, das Werk ihrer Mutter zu ihren Bedingungen in Deutschland zu platzieren. Sie hatte mehr als 20 Briefe an verschiedene Museen und Institutionen geschrieben, unzählige Telefonate und Verhandlungen geführt, sich Beratung bei einem Urheberrechtsspezialisten eingeholt und erfolgreich die Herausgabe eines Teils des Agenturmaterials der Hase aus der ehemaligen Agentur Schostal erkämpft – welche inzwischen integriert worden war in die Bildagentur imagno/Brandstätter in Wien. Mit letztgenanntem „Kampf“ knüpfte sie an das Engagement ihrer Mutter an, die sich mit Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein um ihre Urheberrechte kümmerte, was sich durch zahlreiche Dokumente im Nachlass belegen lässt. „Idealistisch besessen“ nennt Nani Simonis das.

Musikinstrument, 1931 © The Estate of Elisabeth Hase, courtesy Robert Mann Gallery

Nun also schlussendlich doch Robert Mann, der geprägt durch den Kunsthändler Harry Lunn – dieser gilt wiederum als der Begründer des Kunstfotografiemarktes – bereits zu Beginn der 1990er Jahre seinen ersten fotografischen Nachlass akquirierte (Emil Heilborn). Mittlerweile hat er allein 8 bedeutende fotografische Nachlässe wie die von Leslie Gilles, Charles Pratt, Aaron Siskind oder Margaret Watkins in seinem Portfolio. Sein Credo: „Insuring the artist’s legacy and developing a strong and focused market is best achieved by having complete control.“ Seine Position sieht er wie folgt: „I see my role not only as a gallery owner, but as the owner of the Hase Estate to do far more than simply sell photographs to public and private collections, but also to educate the public of how important Elisabeth Hase is in the history of art. Hase was producing very cutting-edge imagery much earlier than anyone would have anticipated, so it is important to update art history with this knowledge. Of course we are interested in strategically placing Hase’s works in important museum collections, that has already begun with the prints going to major institutions such as the National Gallery of Art, the Metropolitan Museum of Art,  the Nelson Atkins and the Museum of Modern Art New York  – to name a few. And in these prominent collections the work will be properly contextualized through exhibition and publication, so that all goes to the greater good.” Hier meint es jemand ernst und man darf gespannt und voller Vorfreude sein auf die kommenden Aktivitäten in Sachen Hase. Ein Glücksfall für die internationale Fotografiegeschichtsschreibung, den wir in Deutschland durchaus auch mit einem weinenden Auge wahrnehmen.

ohne Titel, 1932-33. © The Estate of Elisabeth Hase, courtesy Robert Mann Gallery

Die Fotografin Elisabeth Hase
Elisabeth Hase wird 1905 geboren. Als 17jährige kommt sie nach Frankfurt am Main, wo sie von 1924 bis 1929 an der vom Reformgeist der 1920er Jahre geprägten Kunstgewerbeschule, der heutigen Städelschule, u.a. bei Paul Renner und Willi Baumeister Typographie und Gebrauchsgrafik studiert. Hier kommt sie in Kontakt mit neuartigen fotografischen Sehweisen und Arbeitstechniken im Stil des Bauhauses. Während einer zweijährigen Mitarbeit im Atelier von Paul Wolff und Alfred Tritschler führt Elisabeth Hase erste Auftragsarbeiten für das China-Institut der Universität Frankfurt aus, und es entstehen Architekturaufnahmen im Stil der Neuen Sachlichkeit für die Zeitschrift Das Neue Frankfurt und Dokumentationen zum modernen Siedlungsbau. 1932 riskiert sie den Schritt in die Selbständigkeit. Zeitlose Themen wie Stillleben, Menschen, Strukturen von Dingen und Pflanzen sowie Selbstportraits bilden ihre Schwerpunkte. Für ihre „Selbstinszenierungen“, die häufig absurd anmuten, setzt sie ihr Äußeres ein, ebenso als Werbefläche für Schmuck, Bekleidung, Kosmetika. Besonders in den ersten Jahren, die von Mangel und Nöten bestimmt sind, dienen ihr Werbung und Portrait-Fotografie als Existenzgrundlage. Die Zusammenarbeit mit Bildagenturen wie Holland Press Service und der Agentur Schostal in Wien und Paris ermöglicht es, ihre vorwiegend künstlerisch freien Arbeiten auch international zu publizieren.

Trotz der Bombardierung Frankfurts im Jahr 1944 überlebt das umfangreiche Elisabeth Hase-Archiv den Krieg ohne Zerstörung. Neben Vintages können auch die Glas- und Filmnegative weitgehend unbeschadet gerettet werden, sowie Unterlagen und Dokumente, die Aufschluss über zeitgeschichtliche Zusammenhänge, die Arbeitsweise und die innere Haltung der Fotografin geben. Trotz Verlust der technischen Ausrüstung in den Kriegswirren, nimmt sie 1946 ihre fotografische Arbeit wieder auf, was ihr Dank der Hilfe von emigrierten Freunden möglich ist, die sie mit Kamera und Filmmaterial versorgen. Bekannt aus dieser Zeit sind u.a. ihre Dokumentarfotografien der zerstörten Altstadt und die Langzeit-Dokumentation des Wiederaufbaus der Paulskirche, die sich heute im Gesamtœuvre in New York sowie zum Teil im Bestand des Historischen Museums Frankfurt befinden. Die schon im Frühwerk mit der Plattenkamera begonnenen Pflanzenstudien setzt sie fort, nun vor allem in Farbe. In ihrem Spätwerk, kurz vor ihrem Tod, entstehen so genannte Installationen; Szenen aus Verpackungs- und Wegwerfmaterialien, in denen sie eindringliche und bedrückende Bilder schafft, die sie „Unterweltarchitektur“ nennt. Die einzelnen Titel dieser Installationen verweisen auf die verdrängten Erfahrungen ihrer Generation. Im Jahr 1991 stirbt sie im Alter von 86 Jahren in Frankfurt am Main.
Vintages von Elisabeth Hase finden sich u.a. im  Museum Folkwang, in der Fotografischen Sammlung der Albertina Wien, im Nachlass von W. Gropius/Bauhaus-Archiv in Berlin sowie in Privatsammlungen im In- und Ausland.

Adelheid Komenda

Anmerkungen: Die Zitate von Robert Mann stammen aus einer E-Mail an die Verfasserin vom 26. Juli 2016

Der Beitrag erschien erstmals in PHOTONEWS 12-2016/1-2017.

Galerist Robert Mann mit Bildern von Elisabeth Hase, Paris Photo 2016. Foto: Anna Gripp