Nachlass Paul Dobe

Paul Dobe. Wie ein Flohmarktfund in eine Sammlung führt

„Es ist nützlich, wenn man von dem gegenwärtigen natürlichen Pflanzensystem etwas weiß. Von der Stammesgeschichte, von der Verwandtschaft. Man kann dann eine Reihe verwandter Formen vergleichen und sie im Geiste auf eine gemeinschaftliche Ahnenform zurückführen.“ Mit diesen Worten beschreibt der Maler und Pflanzenzeichner Paul Dobe (1880-1965) 1929 einen wichtigen Aspekt seiner Arbeitsweise. In der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln, wird aktuell ein größeres Konvolut seines Werkes mit fotografischem Schwerpunkt aufgearbeitet: Präzise Nahaufnahmen von Blumen und Pflanzen, sorgfältig auf Karton montiert und beschriftet, sind ebenso darunter zu finden wie fotografische Reproduktionen feiner Pflanzenzeichnungen, ausgeführt in Tusche oder Aquarell. Kiefernzapfen, Leberblumen, Spiralstudien, Bäume und Wolken erweitern den Motivschatz der über 500 Bilder, hinzu kommen Mappen wie „Das Blumenornament“, Briefe, Karteikästen und über 1000 Negative und Dias in Originalschachteln.

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Karteikasten aus dem Nachlass Paul Dobe. Foto: Niklas Rausch. © Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur Köln/Dauerleihga

Der Weg des Konvoluts in die Sammlung beginnt vor 20 Jahren, als der Kunsthistoriker Rainer Stamm einen Flohmarktfund macht: ein Foto der „Wenigblütigen Weißwurz“ von dem ihm bis dahin unbekannten Paul Dobe. Stamm, heute Direktor des Niedersächsischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, forscht in den 1990er Jahren zur Pflanzenfotografie und dem Folkwang-Auriga Verlag, für den auch Albert Renger-Patzsch tätig war. Kurze Zeit später begegnet ihm der Name Paul Dobe erneut: In der Reihe der „Blauen Bücher“ des Verlegers Karl Robert Langewiesche entdeckt Stamm Dobes Publikation „Wilde Blumen der Deutschen Flora: Hundert Naturaufnahmen“ (1929), die auch fünf Fotos von Renger-Patzsch enthält.

Stamms Interesse ist geweckt und er beginnt genauer zu recherchieren – vielleicht findet sich im Umfeld von Dobe Korrespondenz zu Renger-Patzsch? Es erweist sich als sehr praktisch, dass das Blaue Buch die ehemaligen Kontaktdaten des gesuchten Künstlers gleich in Form einer Atelieranzeige für Abzüge mitliefert: In Weimar, so erfährt Stamm, war Dobe beheimatet. Der Griff zum Weimarer Telefonbuch und der Kontakt mit Dobes Sohn Albin sind erfolgreich, Paul Dobe wird nun als Figur zunehmend plastischer: Als Mechaniker und technischer Zeichner ausgebildet, studierte er etwa ab 1905 in Berlin bildende Kunst, ein Zusammentreffen mit Karl Blossfeldt, der zu dieser Zeit dort unterrichtete, ist denkbar. Erste stilisierte Pflanzenzeichnungen sind nach Dobes Wechsel 1908 an die Münchener Debschitzschule bekannt. In München entdeckte er auch sein Lebensthema der „kleinen Blume“, die er in verschiedenen Medien umkreiste. 1912 zog Dobe nach Weimar, wo er 1917/18 an der Kunsthochschule sowie 1919/1920 am jüngst gegründeten Bauhaus unterrichtet und eine eigene Kunstschule gründet. Die große Anerkennung als Künstler bleibt ihm verwehrt, 1958 würdigt die Kunsthalle Weimar seine Arbeiten jedoch mit einer Einzelausstellung.

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Paul Dobe: Erle, 29.7.1916. © Nachlass Paul Dobe. Courtesy Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur Köln/Dauerleihgabe So

Nach seinem Tod im Jahr 1965 bleibt sein Nachlass zunächst in der Familie. Ende der 1990er Jahre erfährt Stamm, dass das Gros des zeichnerisch-malerischen Nachlasses an das Goethe-Nationalmuseum und das Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar gehen soll. Der beschriebene Teilnachlass aus fotografischen Abzügen, Archivalien und Korrespondenz indes liegt noch bei der Familie, da der Stellenwert zunächst unklar ist. Handelt es sich lediglich um dokumentarisches Zusatzmaterial? Oder hat es eine eigene fotografische Relevanz? Was Stamm an dem Material fasziniert, ist nicht primär Dobes Kontakt zu Renger-Patzsch, der sich bei der Durchsicht der Korrespondenz bestätigt. Es ist auch weniger die Entdeckung eines herausragenden Fotografen oder einzelner Foto-Preziosen sondern vielmehr Dobes systematische Vorgehensweise, ein Thema in naturwissenschaftlicher Manier dokumentarisch zu umkreisen. Ausgangspunkt seines Schaffens bildet das Studium der heimischen Pflanzenwelt, hinter dem die Suche nach einem allem zugrunde liegenden Formgesetz steht. Aus dem konkreten Material gilt es Typen und Konstruktionsprinzipien abzuleiten und künstlerisch umzusetzen. Seine fotografischen Studien werden begleitet von genauen Notationssystemen, Bilder tragen Vermerke wie „Wolken in Streifen, Richtung Süd-Süd-Ost, einen Tag vor Vollmond (Weitwinkel)“, abgezogen auf „Gevaert Ridax-Papier“ mit „hartem Toner“.

Mutet Dobes Suche nach einer tieferen Wahrheit esoterisch an, so bildet der künstlerische Ansatz des seriellen Vergleichs „verwandter Formen“, der sich in dem Konvolut zeigt, eine wichtige Schnittmenge zu konzeptionellen Ansätzen von Größen der Fotogeschichte wie Karl Blossfeldt, August Sander und Bernd und Hilla Becher. Und hier liegt auch der Bezug zum Bestand der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, die sich der Aufarbeitung eben jener Positionen widmet. 1998 kuratiert Stamm in Köln seine erste Ausstellung, „Die Welt der Pflanze. Photographien von Albert Renger-Patzsch und aus dem Auriga-Verlag“. Eines Tages kommt das Gespräch auf Dobe, im Austausch mit den Kuratorinnen vor Ort werden die vielfältigen Querreferenzen zum Sammlungsbestand deutlich.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund beschließt Stamm 2001, das Konvolut aus dem Nachlass Dobe zu erwerben. 2006 gibt er es als Dauerleihgabe, gewissermaßen als fotografischen Nachlass Dobes, in die Photographische Sammmlung/ SK Stiftung Kultur, deren Beschäftigung mit konzeptionell vergleichenden Ansätzen ihm dafür das ideale Umfeld erscheint. 2009, 2011 und 2013 wird das Konvolut durch weitere Abzüge, fotografische Reproduktionen, Mappen und Korrespondenz aus dem Nachlass der Familie Prym-von Becherer aus Düren ergänzt. Auf den Kontakt zur Familie war Stamm während seiner Recherchen gestoßen. Als langjähriger Förderer hat sie Dobe finanziell und materiell unterstützt, etwa durch Papiersendungen. Der spätere Nachlassverwalter hatte den Kontakt aufgegriffen und über Stamm die Ergänzung der Leihgabe arrangiert. Als trouvaille bereichern die vorhandenen Archivalien seitdem die Bestände der Sammlung, ermöglichen einen Einblick in Dobes grafisch-abstrahierende Vorgehensweise und in den Kontext seiner künstlerischen Entwicklung.

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Paul Dobe: Gemeine Butterblume, Taraxacum officinale, Fruchtkopf, halbabgeblasen, 9.5.1914. © Nachlass Paul Dobe. Courtesy Die P

Der Fall Dobe zeigt, dass der Weg von Nachlässen in Archive geformt wird von dem Engagement einzelner Personen, persönlichen Kontakten und glücklichen Zufällen. Ist die umfassende Erschließung eines Nachlasses von Einzelpersonen oft nicht leistbar, so stellt der institutionelle Rahmen eines Archivs die notwendige Infrastruktur zur Verfügung. Im Kontext der Dauerleihgabe Dobe an die Photographische Sammlung/ SK Stiftung Kultur wird neben der Konservierung, die Digitalisierung, die wissenschaftliche Aufarbeitung und deren Bereitstellung für den musealen Leihverkehr ermöglicht. So sind seit März Werke von Dobe neben Fotografien von Blossfeldt, Sander und Renger-Patzsch in der Ausstellung „Jardins“ im Grand Palais in Paris zu sehen. Zwanzig Jahre nachdem Rainer Stamm dem Werk Dobes zuerst begegnete wird so die vergleichende Vorgehensweise einzelner fotografischer Positionen wiederum gegenüberstellend in den Blick genommen, Dobes Werk wird zu einem Stein eines größeren Mosaiks.

Jule Schaffer

Der Beitrag erschien erstmals in PHOTONEWS 4-2017.