Die Stiftung »Archeologia Fotografii« in Warschau
Unter der kommunistischen Vorherrschaft wurde die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition privater Fotosammlungen für Jahrzehnte gekappt. Besitzer und Erben hatten gute Gründe, in diesen Zeiten die Hand auf Bild- und Dokumentenarchive zu halten. Das ist eine Erklärung dafür, dass sich die Nachlässe polnischer Fotografen überwiegend in der Hand der Familien befinden. Die Estates können jedoch – anders als in Deutschland – die Hilfe einer Institution in Anspruch nehmen, die sich auf die Sicherung, Erschließung und Nutzung solcher Archive spezialisiert hat. Die Rede ist von der im August 2008 gegründeten gemeinnützigen Archeology of Photography Foundation (Fundacja Archeologia Fotografii) in Warschau.
Die Foundation, die keinen kommerziellen Zweck verfolgt, hat sich unter der Leitung von Karolina Lewandowska und Karolina Puchala-Rojek binnen vier Jahren zu einer zentralen Anlaufstelle für sämtliche Fragen rund um fotografische Nachlässe entwickelt. Sie ist die erste Institution ihrer Art in Polen, entstanden aus dem Wunsch, die Nachlässe führender polnischer Fotografen zu entdecken, zu sichern und öffentlich zu machen.
Die Stiftung deckt ein vielfältiges Spektrum an Aufgaben und Dienstleistungen ab, das umso mehr Bewunderung abnötigt, da sie dies bislang ohne planbare, berechenbare staatliche Zuwendungen zustande gebracht hat. Mit drei Nachlässen und ohne finanzielle Mittel gingen Lewandowska und Puchala-Rojek 2008 an den Start. Den Aufbau der Datenbank unterstützt das Ministerium für Kultur seit 2009. Entscheidend für das Überleben der Stiftung wurden jedoch die Zuwendungen von Island, Liechtenstein und Norwegen durch die EEA Grants – Norway Grants, vor allem weil die staatlichen Mittel zwischendurch auch aussetzten. Mithilfe der norwegischen Gelder, die 2011 die Durchführung und Publikation der internationalen Konferenz »The Archive as Project« ermöglichten, können auch die Kosten für die Gehälter abgedeckt werden.
Unternehmungsgeist, Risikobereitschaft und eine intelligente Diplomatie im Umgang mit den Nachlassgebern sind die Schlüsselelemente für die erfolgreiche Arbeit der Stiftung Archeologia Fotografii. Keineswegs geht es ihr darum, in den Besitz der Nachlässe zu kommen. Das erklärte Ziel heißt Erhalten und Zugänglich-machen. Aus diesem Grund werden die Familien auch nicht gefragt, ob sie etwas geben, sondern ob sie bereit sind, ihr Erbe, über das sie weiterhin verfügen können, mithilfe der Stiftung bestmöglich zu lagern und öffentlich zugänglich machen zu lassen. »To act for the protection and promotion of photographic archives«, formuliert Stiftungspräsidentin Karolina Lewandowska die Mission der Stiftung.
»Die Stiftung Archeologia Fotografii entdeckt, erforscht, hilft sichern, erschließen und nutzen, sie ermöglicht einer breiten Öffentlichkeit einen dauerhaften Zugang und sie leistet pädagogische Aufklärungsarbeit. «
Ein Vertrag regelt die Zusammenarbeit zwischen Familie und Foundation, und das bis in die Details der späteren kommerziellen Nutzung. Unter der Obhut der Stiftung wird der Nachlass inventarisiert, unter konservatorischen Bedingungen in Hüllen und Kartons gepackt, digitalisiert und publiziert, online, aber auch in Form von Ausstellungen, zuallererst in den mitgenutzten Räumen des Kooperationspartners Asymmetria Gallery, des Mitbegründers der Foundation.
Für die kommerzielle Nutzung spricht die Stiftung Empfehlungen aus. So wird den Familien geraten, möglichst zuerst an Museen zu verkaufen und tunlichst die letzten Abzüge unter Verschluss zu halten. Bei direktem Verkauf aus dem Nachlass wird die Foundation zu 50 Prozent am Verkaufserlös beteiligt. Wird über die Stiftung verkauft, erhält die Familie 40 Prozent, die Foundation und die Galerie erhalten jeweils 30 Prozent.
Das Archiv versucht auch selbst Geld zu verdienen, was jedoch nicht einfach ist. Die Foundation veranstaltet Workshops, bietet technisches Know-how (z. B. Scans) und verkauft Publikationen. Ein Event, das allen Beteiligten Spaß macht und etwas einbringt, ist die jährliche Verkaufsveranstaltung »Foto Sprint!« Ende November, Anfang Dezember. Die Besitzer von Nachlässen stellen dafür nicht nur Werke zur Verfügung, sie beantworten auch die Fragen der Käufer. Mit dem Verkauf limitierter Reprints kann die Foundation ansonsten finanziell wenig bewegen. Dafür ist nach Auskunft von Karolina Lewandowska kein Markt da; und die von Sammlern begehrten zeitnah zur Aufnahme entstandenen Abzüge sollen nicht verkauft werden.
Nach und nach werden die eingescannten Materialien eines Nachlasses online auf der »Database« der Homepage publiziert, oft versehen mit ausführlichen Kommentaren. Daneben wurde 2011 das Webportal „Foto Rejestr“ ins Leben gerufen, das sich als Informationsplattform für praktische und theoretische Fragen rund um fotografische Sammlungen in öffentlichen Warschauer Institutionen oder in Privatsammlungen empfiehlt. Kooperationspartner ist das norwegische Technische Museum Oslo; auf polnischer Seite arbeitet die Stiftung mit den staatlichen National Digital Archives und dem History Meeting House zusammen, das der Foundation bereits bei den Vorbereitungen für seinen Index fotografischer Sammlungen zur Seite stand.
Die Stiftung Archeologia Fotografii entdeckt, erforscht, hilft sichern, erschließen und nutzen, sie ermöglicht einer breiten Öffentlichkeit einen dauerhaften Zugang und sie leistet pädagogische Aufklärungsarbeit. Mit ihrem Projekt »Living Archives« schlägt die Foundation auch die Brücke in die Gegenwart. Zeitgenössische Künstler werden eingeladen, sich künstlerisch mit einem historischen Bestand auseinanderzusetzen. Karolina Bregula etwa, Jahrgang 1978, befasste sich 2011 in ihrem Projekt »Corrective Photographs« mit Aufnahmen aus dem Archiv der wiederentdeckten Fotografin Zofia Chometowska, Chronistin des Lebens im vom Krieg zerstörten Warschau zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Bregula realisierte mithilfe von Großvergrößerungen eine ortsspezifische Installation an öffentlich sichtbaren Wänden in Warschau. So eignet sich eine jüngere Generation ihre Geschichte an.
Kontakt und weitere Informationen:
www.archeologiafotografii.pl
Autorin: Christiane Fricke
Erstmals erschienen in PHOTONEWS 6/2012, Seite 6-7